Tachykardes Vorhofflimmern

Epidemiologie und Pathophysiologie

Tachykardes Vorhofflimmern bei kritisch-erkrankten Patienten ist auf Grund des gesteigerten Sympatikotonus, Veränderungen des Säure-Basen- und Elektrolythaushaltes häufig und tritt in Abhängigkeit des untersuchten Kollektives in bis zu 50% der Patienten auf. Das Kollektiv kritisch kranker Patienten ist bisher nur unzureichend im Hinblick auf evidenzbasierte therapeutische Strategien untersucht, so dass derzeit Empfehlungen hinsichtlich der medikamentösen Frequenzkontrolle oder Antikoagulation als unsicher betrachtet werden müssen.

Rhythmus- vs. Frequenzkontrolle

Bei hämodynamischer Stabilität scheint die Frequenzkontrolle (Zielfrequenz < 110bpm) der Rhythmuskontrolle gleichwertig. (AFFIRM, AF-CHF-Study, CTSN Trial 2016). Die Kardioversion mit anterolateraler Elektrodenposition (verglichen mit anterior-posterior) erhöht den Konversionserfolg (Circulation).

Medikamente zur Frequenzkontrolle

Vasopressin

Vasopressin erscheint verglichen mit Noradrenalin mit einer niedrigeren Inzidenz von tachykardem VHF assoziiert zu sein. Daher kann bei hohem Noradrenalinbedarf (> 0,5 μg/kg/min) und tachykardem VHF zur hämodynamischen Optimierung die Gabe von Vasopressin erwogen werden (0.01-0.06 U/min). (VASST, VANISH, VANCS Studie)

Betablocker

Betablocker sind Mittel der Wahl zur Frequenzkontrolle bei erhaltener linksventrikulärer Pumpfunktion. Insbesondere bei kritisch erkrankten Patienten ist zunächst ein Betablockerversuch mit dem kurzwirksamen Betablocker Esmolol zur Abschätzung der hämodynamischen Effekte sinnvoll. Bei hämodynamisch instabilen Patienten mit eingeschränkter Pumpfunktion (z.B kardiogenener Schock) und fehlendem Therapieerfolg (oder Kontraindikation von Amiodaron) kann ein Therapieversuch mit dem ultrakurzwirksamen hochselektiven Beta-1-Blocker Landiolol (Teuer!) erfolgen. Bei Instabilität empfiehlt sich hier eine eher niedrige Laufrate (um 4µg/Kg/min) ohne Initialbolus. Überzeugende vergleichende RCT-Daten im intensivmedizinischen Patientenkollektiv existieren für Landilol derzeit nicht!

Metoprolol2.5 – 10mg Bolus iv.
Esmolol0,5mg/kgKG über 1min iv
Landiolol4µg/Kg/min (bei hämodyn. Instabilität)

Digitalis

Digoxin und Digitoxin können in Kombination mit einem Betablocker (oder Amiodaron) zur Frequenzkontrolle eingesetzt werden. Auf Grund ihres Wirkmechanismus der zu großen Teilen über eine Steigerung des Vagotonus vermittelt ist, ist ihre Effektivität in Situation mit gesteigertem Sympatikotonus (Sepsis, PostOP SIRS) umstritten.

Digoxinschnelle Aufsättigung: 0,5 mg alle 4-6h
(Kontraindikation bei Niereninsuffizienz
(bis 1,5mg in 24h)
Digitoxinschnelle Aufsättigung: 0,5 mg alle 6h
(Kontraindikation bei Leberinsuffizienz)
(1mg/Tag für 2 Tage)

Amiodaron

Amiodaron sollte auf Grund seiner schwerwiegenden Nebenwirkungen nicht primär zur Frequenzkontrolle verwendet werden. Bei hämodynamisch instabilen Patienten, fehlendem Kardioversionserfolg oder bei höhergradig eingeschränkter Pumpfunktion kann es zur Frequenzkontrolle verwendet werden (ESC Leitlinie 2020). Die Amiodaron-induzierte Lungenfibrose ist typischerweise eine Komplikation der Langzeittherapie. Es existieren zwar Einzelfallberichte mit unklarer Relevanz über eine akute Lungentoxizität, dennoch gilt die Kurzzeitanwendung (< 1 Monat) hinsichtlich pulmonaler Effekte als sicher (2014 AATS Leitlinie)

300mg als KI, dann 1050mg/d für max. 10 Tage zur Aufsättigung. Bei erreichter Frequenzkontrolle kann die Aufsättigung beendet und sofort mit der Erhaltungsdosis fortgefahren werden.

Antikoagulation

Grundsätzlich sollten alle Patienten mit VHF und einem CHADS2VASC-Score > 1 (Frauen > 2) therapeutisch antikoaguliert werden. Vor elektiver Kardioversion bei länger als 48h bestehendem VHF sollte entweder eine 3-wöchige therapeutische Antikoagulation (AK) oder ein Thrombusausschluss durch TEE erfolgen. Auf Grund atrialer Wandbewegungsstörungen und hoher VHF-Rezidivraten ist auch nach erfolgreicher Kardioversion prinzipiell eine AK indiziert (trotz bestehendem Sinusrhythmus). In einer großen, allerdings retrospektiven Registerstudie traten bei Patienten mit Sepsis und Vorhofflimmern unter Antikoagulation nicht weniger Schlaganfälle allerdings mehr Blutungskomplikationen verglichen mit einem Verzicht auf Antikoagulation auf. Bei kritisch erkrankten Patienten ist das Risiko-Nutzen-Verhältnis (Stroke vs. Blutung) einer Antikoagulation im intensivmedizinischen Umfeld auf Grund fehlender Studien derzeit unklar. Daher sollte unserer Ansicht nach eine individuelle Abwägung erfolgen und die Patienten nach abgeschlossener intensivmedizinischer Behandlung kardiologisch reevaluiert werden. Geeignete Medikamente im intensivmedizinischen Umfeld sind unfraktionierte und niedermolekulare Heparine. Auf Grund langer Halbwertszeiten, fehlender Monitoringmöglichkeiten und fehlender Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit bei kritisch erkrankten Patienten sind DOAKs unserer Ansicht nach keine geeigneten Substanzen im intensivmedizinischen Kontext. Bei Patienten mit neu-aufgetretenem (oder detektierten) postoperativem Vorhofflimmern soll eine dauerhafte Antikoagulation in Abhängigkeit des Stroke-Risikos erwogen werden (ESC 2022). Auch hier sollte unserer Ansicht nach eine kardiologische Evaluation im Verlauf erfolgen.

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